Eine schicksalhafte Nacht...
Wir schreiben den November des Jahres 1872. Der starke ablandige Wind dieses besonders stürmischen Monats drückt seit Tagen das Wasser der Ostsee in den Finnischen und Bottnischen Meerbusen. Über das Skagerrak und Kattegat drängt die Nordsee nach. An den mecklenburgischen und polnischen Küsten laufen Schiffe auf Grund oder sinken gar im Sturm. Es soll aber noch schlimmer kommen…
Urpötzlich dreht der Sturm am Nachmittag des 12. November auf Nordost. Das Wasser der Ostsee, zuvor mit Macht gen Osten gedrängt, drückt nun zurück in die Lübecker Bucht. Aus dem Sturm wird ein Orkan mit Windstärken bis 12. In der Nacht auf den 13. November wird die deutsche und dänische Ostseeküste von einer Flutwelle ungekannten Ausmaßes getroffen. Ganze Dörfer spült das tobende Wasser weg und überflutet kilometerweit das Binnenland.
In dieser Nacht passiert die englische Brigg HMS Southern Cross die Küste vor Kellenhusen. Die Besatzung hat eine lange Seereise hinter sich, zunächst von Madagaskar nach London und ist nun auf dem Weg nach Lübeck. Neben exotischen Gewürzen und Stoffen hat der Segler auch eine beträchtliche Ladung Gin an Bord.
Diese Fracht hat es in sich. Es handelt sich um keinen klassischen Dry Gin, sondern um eine Spezialität. Auf Madagaskar hat man mit exotischen Früchten und Gewürzen ein exotisches Aroma kreiert. Dieser Gin soll als ganz besonderes Destillat den Lübecker Wein- und Spirituosenhändlern üppige Gewinne bescheren.
Doch eine Orkanböe erfasst mitten in stockdunkler Nacht das Schiff auf der Höhe von Kellenhusen und zerfetzt das Sturmsegel. Binnen Minuten kentert die Southern Cross in den sechs Meter hohen Wellen und versinkt in der tosenden Ostsee. Der größte Teil der Mannschaft wird mitsamt der wertvollen Fracht in die Tiefe gerissen. Der Rudergänger schafft es als Einziger das Schiff rechtzeitig zu verlassen
Die Fluten tragen ihn über das überflutete Kellenhusener Hinterland, bis er sich in Cismar auf einen Speicher des Klosters rettet. Erst Tage später wird er von Suchtrupps gefunden, die dem zurückweichenden Wasser folgen und nach Überlebenden und Ertrunkenen suchen. Sein Leidensgenosse ist ein Bulle, der ebenfalls auf das Dach des Speichers gespült wurde!
Der Bootsmann wendet sich nach diesen Erlebnissen von der Seefahrt ab und wird in Kellenhusen sesshaft. Wann immer die Fischer in den nächsten Jahren Gin-Flaschen in ihren Netzen finden, erzählt er seine Geschichte von Madagaskar, der Sturmfahrt, der Gin-Ladung und seinen Kameraden, die in dieser furchtbaren Nacht mit der Southern Cross untergingen.
So ist es bis heute in Kellenhusen üblich, zu Beginn des neuen Jahres ein Glas Gin von der Seebrücke in die Ostsee zu gießen, in der Hoffnung, nie wieder die Schrecken der Sturmflutnacht vom 12. auf den 13. November 1872 erleben zu müssen.
Bis heute blieb der Ort verschont...
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Die Katastrophe verändert die schleswig-holsteinische Ostküste. Im gesamten Kaiserreich spenden die Menschen Geld und Kleidung. Zum Deichbau kommen Ingenieure nach Ostholstein und entdecken den Reiz dieser bis dahin wenig bekannten Küstenlandschaft. So wird dieses verheerende Ereignis zum Beginn von etwas Neuem - der Entdeckung der Sommerfrische.
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...so wird es jedenfalls erzählt.